Jugendliche, die eine Therapeutische Jugendwohngemeinschaft (TWG) als Lebensort benötigen, leiden unter manifesten, in der Regel lebensgeschichtlich bedingten Verhaltensauffälligkeiten und/oder psychiatrischen Störungen. Dazu gehören schwere Traumata, Bindungs-störungen, Persönlichkeitsstörungen, Neurosen, Psychosen, Essstörungen, Selbstverletzung, Sucht, soziale Störungen usw. Ein erheblicher Anteil der aufgenommenen Jugendlichen war zuvor mehrfach in psychiatrischen Kliniken untergebracht oder wurde/wird ambulant jugendpsychiatrisch behandelt (Arbeitskreis der Therapeutischen Jugendwohngruppen Berlin 2009).
Jugendliche mit diesen Problematiken brauchen eine psychologisch-therapeutisch geleitete, sozialpädagogische Hilfe – und haben nach §§ 27 i. V. m. 34 oder 35a SGB VIII einen gesetzlichen Anspruch darauf. Der Unterschied zwischen regulären Jugendwohngemeinschaf-ten und Therapeutischen Wohngruppen besteht dabei nicht in einer längeren Betreuungs-dauer, sondern einer grundsätzlich anderen Betreuungsqualität. Die Arbeit beinhaltet die Einbeziehung eines professionellen Verständnisses von Störungsbildern, Krisenanfälligkeiten, Dynamiken, jedoch auch von Ressourcen in der Wahrnehmung der Jugendlichen durch das interdisziplinäre Betreuungsteam - ähnlich aktuellen traumapädagogischen Ansätzen (Bausum et al. 2009; Gahleitner 2011; Weiß 2011). Qualitätssicherung wird in der Jugendhilfe zunehmend Bedeutung (vgl. § 78 SGB VIII) bei-gemessen, sie stellt jedoch in der Jugendhilfe ein komplexes Unterfangen dar (vgl. zum ak-tuellen Forschungsstand Macsenaere, in diesem Band). Dennoch ist auch hier Zielsetzung, die Ergebnisqualität als zentrale Qualitätsdimension darzulegen (Merchel 2004) und für die Qualität einer Leistung einen messbaren Vergleich zwischen Ausgangssituation und Sollsi-tuation sichtbar zu machen (Hummel 2004). Das Pestalozzi-Fröbel-Haus Berlin, EJF-Lazarus, Der Steg, ProWo, NeUhland, Jugendwohnen im Kiez, Wuhletal Psychosoziales Zentrum und Allgemeine Jugendberatung – allesamt Mitglieder im Arbeitskreis therapeutischer Jugendwohngruppen Berlin (AK TWG), der seit 1999 die fachliche Arbeit der unter-schiedlichen Einrichtungen bündelt und den internen Qualitätsentwicklungsprozess voran-treibt, haben sich entlang dieser Überlegungen für eine mehrjährige Evaluationsstudie unter dem Titel BEGEVAL entschieden. Die Studie – gefördert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband gefördert - arbeitet nach dem Modell ‚Forschung aus der Praxis für die Praxis’ und greift auf diese Weise bereits während der Erhebung fruchtbar in den Praxisprozess ein.
Die BEGEVAL-Studie basiert auf einer bereits abgeschlossenen explorativen Katamnesestudie zur Betreuungsqualität in Therapeutischen Wohngruppen aus dem Jahr 2008 (Arbeitskreis der Therapeutischen Jugendwohngruppen Berlin, 2009) in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule Berlin. Die Anschlussstudie sollte nicht nur die Möglichkeit eröffnen, über mehrere Jahre hinweg die Betreuungsqualität begleitend zu evaluieren, sondern auch die diagnostische Qualität der Einrichtungen zu erhöhen. Der erste Schritt des Projektes war daher, über die Erstellung eines Online-Portals standardisierte wie Individuums zentrierte computerunterstützte psychosoziale Diagnostik in den Einrichtungen möglich zu machen, die nicht nur für eine anschließende Begleitevaluation, sondern auch für die Qualitätssicherung von Fallverlaufsprozessen zur Verfügung steht. Das bedeutet, die ohnehin für die Hilfeplanerstellung nötige Gestaltungsdiagnostik (vgl. Heiner 2013) über eine Prozessorientierung (vgl. Glemser 2010) hin zu einer ‚Evaluationsdiagnostik‘ auszudehnen. Dieses Vorgehen ermöglicht, prozessual an den Schnittstellen Diagnostik – Intervention – Evaluation anzusetzen und längsschnittliche sowie wirkungsorientierte Ergebnisse zu produzieren.
Glemser, Rolf (2010). Psychosoziale Diagnostik im Suchtbereich: bio-psycho-sozial denken und handeln. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 41 (4), S. 84-95
Gahleitner, Silke Birgitta & Glemser, Rolf (i. Dr.). Ressourcenorientierte Diagnostik. In: Knecht, Alban & Schubert, Franz-Christian (Hrsg.). Ressourcen im Sozialstaat und in der Sozialen Arbeit. Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer